Europa Europa (Leseprobe)

Hütet Euch vor den Gezeichneten
von Reinhard Tramontana

Karikaturen sind, technisch, Zeichnungen, inhaltlich Bezeichnungen des Zustandes der Gesellschaft. Ob sie malerische Kollosalgemälde sind, die nur vordergründig ergötzlich sind, im Kern aber mit höhnischer List Vorkommnisse unser aller Leben demaskieren, oder ob sie in genial hingeworfenen Skizzen den Zorn über Unzumutbarkeiten drastisch plastisch machen – sie sind das eindringliche, augenfällige Spiegelbild des Augenblicks.
Karikaturen sind Kritiker; sie decken auf, was häufig genug von denen da oben zugedeckt wird; sie sind scharf zugeschliffene, zugespitzte Zeitzeugen; noch in dem Gelächter, das sie auszulösen vermögen, schwingt unweigerlich die Warnung mit: Hütet Euch vor den Gezeichneten. Denn allemal besteht der Sinn der wichtigen, der nachdenklich machenden Karikatur nicht darin, die Ohnmächtigen zu blasphemisieren, sondern darin, die Mächtigen zu blamieren, oder sie und ihre Gedankengänge wenigstens bloßzustellen. Die kostbare Perfidie läßt sich meistens nicht gleich auf einen Blick erkennen, denn der Teufel steckt im Detail.
Die liebevoll ersonnene Hinterfotzigkeit, die geistig aufwendige Intrige gegen Machtgier und Größenwahn ist eine intellektuelle Ranküne, die weit über den Stellenwert einer l’art pour l’artiste hinausgeht; sie reicht von der ironischen Verachtung der Mächtigen bis zur zynischen Anklage gegen eben dieselben. Karikatur ist eine soziale Hygiene; sie zieht, bloß mit einem Stift bewaffnet, gegen politischen und juridischen Unrat zu Felde, sie prangert mit einem Strich an, wenn manche sich auf diesen begeben haben. Auch, wenn sie es erst vorhaben.

Es sind nicht alle Gottsöberen davor gefeit, sich von der Europäischen Union mit Haut und Haaren kaufen zu lassen. Es sind nicht alle Hasardeure, die für einen relativ bedenkenlosen Beitritt sind, aber sind auch nicht alle hinterwäldlerische Idioten, die skeptisch sind.
Es gibt Argumente, die eine positive Meinung vertretbar machen, es gibt allerdings auch ein Bündel noch immer nicht ganz durchschaubarer Sachverhalte, die von denen, die einen Informationsvorsprung besitzen, nicht erklärt werden konnten.
Ob pro oder contra: wir sind den Mächtigen, den Gezeichneten, ausgeliefert. Woher die Slogans auch kommen, wer immer uns etwas weismachen will, wir sollten wachsam sein. Als Hilfe bietet sich ein hervorragendes Instrument an: die Karikatur, die unerbittlichste Satire über die Gegenwart und das gallige Mahnmal vor der Zukunft.
Karikaturisten sind Propheten und profane Prediger, Seelsorger vom Schlag eines Abraham a Santa Clara.

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